Wir alle haben den Gletscherabbruch im Lötschental in den Medien verfolgt. Berichte stellten bald nach der Katastrophe einen Zusammenhang mit dem Klimawandel her. Dies, nachdem der Klimawandel in den letzten Jahren durch Pandemie, Kriege, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien, Migrationsdebatten und Männlichkeits-Kapriolen der Tech-Bros aus der Berichterstattung verdrängt worden war. Es brauchte nun offenbar neun Millionen Kubikmeter Schutt und Eis, die ein gesamtes Dorf mit einer bis zu 100 Meter hohen Schicht aus Geröll und Eis bedeckten und über 300 Menschen heimatlos machten, damit der Klimawandel wieder mediale Aufmerksamkeit erhält. 

Der Klimawandel trifft nicht alle Menschen gleich. Während vor allem die Reichen CO2-Emissionen verursachen, treffen die Folgen ärmere Menschen stärker. 

Was weniger im Fokus steht: Auch Frauen und Männer sind unterschiedlich betroffen. 

Folgen des Klimawandels treffen Frauen anders

Häufiger und stärker werdende Hitzeperioden sind eine der Folgen des Klimawandels in der Schweiz. Es gibt mehrere Gründe, warum Frauen besonders betroffen sind: Für schwangere Frauen steigt durch Extremwetterereignisse das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen. Betagte Menschen sind bei Hitze einem erhöhten gesundheitlichen Risiko ausgesetzt, ältere Frauen sind hier besonders betroffen – auch weil sie länger und nicht selten alleine leben

Jana Freundt
Frauen reden seltener mit bei wichtigen Entscheiden in den «klimarelevanten» Wirtschaftssektoren. 

Frauen leisten in allen Altersgruppen heute immer noch einen Grossteil der Care-Arbeit, die an heissen Tagen nicht einfach ausgesetzt werden kann. Hitzefrei gibt es bei der Pflege von Kranken und der Betreuung von Kleinkindern nicht. Im Gegenteil: Während Naturkatastrophen und Extremwetter ist oft mehr und intensivere Care-Arbeit notwendig. Auch kann in solchen Situationen geschlechtsspezifische Gewalt zunehmen.

Frauen sind also statistisch gesehen besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Daher sollte Klimapolitik auch auf ihre Bedürfnisse ausgelegt sein. Oder?

Gender in der Klimapolitik 

Klimaschutzprogramme wie der Europäische «Grüne Deal» setzen ihren Fokus auf technische Lösungen im Energiesektor und in Industrien mit starken CO2-Emissionen wie dem Verkehrssektor. In diesen Branchen sind Gewinne der Unternehmen selten in Frauenhand, und viele Investitionen und Subventionen fliessen in tendenziell von Männern bevorzugte Technikbereiche. Männer sind hier unter den Erwerbstätigen und in Führungspositionen überrepräsentiert. Frauen sind dagegen wenig vertreten und reden seltener mit bei wichtigen Entscheiden in den «klimarelevanten» Wirtschaftssektoren. 

Klimapolitik hat substanzielle Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das Einkommen. Sie prägt strukturelle Geschlechterungleichheiten: Grüne Wirtschaftspolitik schafft zunächst neue Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie, insbesondere im Energiesektor. Sozialpolitisch unterstützende Massnahmen schützen oft vor allem vom Beschäftigungsverlust bedrohte Arbeitnehmende in den männerdominierten emissionsstarken Branchen. Don’t get me wrong: Die Dekarbonisierung dieser Sektoren ist dringend notwendig. Es zeigt sich jedoch: Existierende Gender Gaps am Arbeitsmarkt werden weiter verstärkt. Frauen profitieren ausserdem durch die unterschiedliche Berufswahl weniger von staatlichen Förderungen.

Sozialpolitische Instrumente wie eine Verkürzung der Arbeitszeit oder die Einführung einer Elternzeit könnten dazu beitragen, dass Frauen vermehrt in Entscheidungspositionen in «klimarelevanten» Sektoren vertreten sind. Es braucht aber mehr. Wir wissen inzwischen, dass das «Aber Frauen mögen halt keine Mathe»-Argument sich selbst in den Schwanz beisst: Studien zeigen, dass dies vor allem sozial und kulturell bedingt ist. Genauso gibt es wohl kaum biologische Gründe, warum Technik «Männersache» sein sollte. 

Jana Freundt
Technische Innovationen haben das Potenzial, die Energieversorgung und die Mobilität neu – «weiblich» – zu denken.

Technik kann weiblich, inklusiv und emanzipatorisch sein. Es braucht ganzheitliche und gendergerechte politische und wirtschaftliche Initiativen, damit grüne technische Innovationen mit dem Ziel einer emanzipierten und nachhaltigen Gesellschaft geschaffen und genutzt werden. Technische Innovationen haben das Potenzial, die Energieversorgung und die Mobilität neu – «weiblich» – zu denken. Im Sinne einer dezentralen, intelligent vernetzten Versorgung, die auf die Bedürfnisse aller Menschen ausgerichtet ist.

Ist Klimapolitik feministisch?

Was bedeutet der Klimawandel für frauendominierte Branchen, etwa in den Bereichen Soziales, Bildung und Gesundheit? Hierüber wird selten gesprochen. 

Die Folgen des Klimawandels wie Extremwetter und neue Infektionskrankheiten erhöhen mittelfristig den Druck auf die im Gesundheitssektor geleistete Sorgearbeit – die bereits jetzt schlecht bezahlt und unterfinanziert ist. Investitionen in den Bildungssektor sind selten Teil der Klimapolitik, stattdessen wird in der Schweiz nun bei Bildung und Forschung im Rahmen des Entlastungspakets des Bundes stark gespart. Dabei wäre eine «Klimaanpassung des Bildungssystems» eine dringend notwendige Investition in die Zukunft. 

Jana Freundt
Umverteilung ist ein zentrales Element einer gendergerechten Klimapolitik.

Gender Pension Gap, Gender Pay Gap, Child Penalty … Aus verschiedenen strukturellen Gründen sind Frauen häufiger arm und damit stärker von Preissteigerungen bei Energie, Wohnen oder Lebensmitteln betroffen. Im Klimakontext spricht man von «energy poverty». Ob Umverteilungsmechanismen bei CO2-Abgaben (Beispiel: CO2-Abgabe, CO2-Gesetz) oder Preisregulierung bei gewinngetriebener Inflation in Krisenzeiten, Umverteilung ist ein zentrales Element einer gendergerechten Klimapolitik.

Sollten sich Frauen also besonders für eine Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft interessieren? Zunächst lässt sich feststellen: Sie tun es. 

Studien in westlichen demokratischen Ländern zeigen, dass Frauen systematisch häufiger Klimapolitik unterstützen, für Umweltschutz stimmen, sich grössere Sorgen um den Klimawandel machen, häufiger an Klimastreiks teilnehmen und sich klimafreundlicher verhalten. Aber auch wenn wir brav den sich im Getränk auflösenden Papierstrohhalm nutzen, Veggie-Wurst grillieren und zwölf Stunden mit dem Zug in die Ferien nach Spanien fahren, generiert unser Konsumverhalten immer noch eine Menge CO2-Emissionen. Die Forschung weist darauf hin, dass durch eine Änderung des individuellen Konsumverhalten nur ein Bruchteil der notwendigen Emissionen eingespart werden kann. Die bisher umgesetzte Klimapolitik reicht bei Weitem nicht aus, um in einem stabilen Klimaszenario zu bleiben. 

Es braucht eine umfassende sozial-ökonomische Transformation, damit unsere leiblichen, Stief-, Gotten- und Nachbarskinder ein gutes Leben haben. Eine solche Transformation wäre feministisch: Sie bietet die Chance eines geschlechtergerechten Wandels, von dem alle profitieren. Frauen können hier Pionier:innen sein!

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