Oyen Battaglia ist Hebamme und alleinerziehende Mutter. Ihr erstes Kind, Tochter Malu, ist tragischerweise nach 16 Monaten verstorben. Für die heute 43-Jährige war schnell klar: Sie möchte unbedingt nochmals Mama werden. Dank einer Samenspende aus Dänemark kam 2019 Enea zur Welt. Als sogenannte Single Mother by Choice lebt Oyen heute in Zürich-Altstetten in einer Wohngemeinschaft, zusammen mit einer anderen alleinerziehenden Mutter. Mit Oyen haben wir nicht nur, aber auch über Geld gesprochen.
Oyen, wie wichtig ist dir Geld?
Mir ist Geld nicht so wichtig. Ich habe nie viel Geld gehabt, bin in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Klar braucht man Geld, um zu leben, seine Rechnungen zu bezahlen und sich ein bisschen Luxus zu leisten. Aber es ist für mich eine reine Notwendigkeit.
Du hattest also noch nie Geldsorgen?
Nein, Geldsorgen hatte ich dank meines Jobs als Hebamme noch nie wirklich.
Wie viel verdienst du?
Im 2021 war mein Umsatz 76’000 Franken, brutto, also ohne Abzüge.
Bist du mit deinem Lohn zufrieden?
Ich finde, wir Hebammen verdienen gut, ja. Viele meiner Kolleg:innen denken hingegen, wir seien angesichts der Verantwortung unterbezahlt. Im Vergleich mit meinem Freundeskreis stehe ich finanziell gut da.
Findest du es komisch, über deinen Lohn zu sprechen?
Überhaupt nicht. Ich weiss nicht, woher das kommt, dass wir nicht über Geld sprechen. Ich selber spreche auch nicht über Geld, einfach weil es mich nicht interessiert. Andere Themen sind mir wichtiger.
Gibt es niemanden, mit dem du über Geld sprichst?
(Überlegt.) Nein, ich habe auch nur eine kleine Familie. Es gibt eigentlich nur mich und meinen Sohn. Meine Mutter ist vor drei Jahren gestorben, als ich schwanger war mit Enea. Mein Vater verstarb letzten August. Ich bin ohne ihn aufgewachsen, hatte nie viel Kontakt. Als Enea zur Welt kam, habe ich versucht, diesen Kontakt etwas zu intensivieren, aber dann kam Corona.
Du bist selbst auch ohne Vater aufgewachsen.
Er hat uns verlassen, als meine Mutter schwanger war. Er hatte drei Kinder von drei verschiedenen Frauen. Mein Vater war ein Mann, der nie gelernt hat, Verantwortung zu übernehmen. Er war kein böser Mensch.
Hat er euch finanziell unterstützt?
Nein, nie.
Aber deine Mama kam ohne seine Hilfe klar?
Ja, sie hat gekämpft. Ich habe noch einen Halbbruder, meine Mutter hat zwei Kinder, ebenfalls von zwei verschiedenen Männern. Der Vater meines Bruders hat auch keine Alimente bezahlt, also hat sie einfach sehr viel gearbeitet. Sie war Wirtin – mit Leib und Seele.
Deine Mama war also nicht oft zu Hause.
Für mich war das normal. Ich hatte keine Mutter, die mir abends zum Einschlafen Geschichten vorgelesen hat. Mein Halbbruder und ich sind schnell selbstständig geworden, mussten uns beispielsweise das Fahrradfahren selber beibringen, weil sie keine Zeit hatte.
Wie sieht dein eigener beruflicher Alltag aus?
Bis 2013 habe ich als Hebamme im Spital gearbeitet, daneben habe ich geholfen, eine zweite Filiale einer bereits bestehenden Praxis aufzubauen. Weil es nicht möglich war, im Spital von 60 auf 40 Prozent zu reduzieren, habe ich gekündigt und mich selbständig gemacht. Seither arbeite ich als freiberufliche Hebamme in der Wochenbettbetreuung, besuche Frauen nach der Geburt zu Hause. Ich bin froh, keinen Nachtdienst mehr machen zu müssen, keine Streitereien mit Ärzt:innen zu haben, niemand redet mir hinein.
Fehlen dir die Geburten?
Ja, ich würde gerne mal wieder einen kleinen Menschen in Empfang nehmen.
Wie viele Kinder hast du als Hebamme zur Welt gebracht?
Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, aber ich schätze, es waren um die 700.
700 Kinder, wow! Und wie war es, selbst ein Kind zur Welt zu bringen – nach all diesen Erfahrungen?
Ich würde sofort wieder! Ich hatte zwei unglaublich tolle Geburten, sehr schnell und sehr einfach. Den Schmerz habe ich nicht als so schlimm empfunden. Malu habe ich sehr ruhig geboren, sie quasi hinausgeatmet. Und ich übertreibe nicht, die Geburt habe ich auf Video! Und habe es mir immer mal wieder angeschaut. Natürlich hatte ich Momente, in denen es brannte, ich das Gefühl hatte, mir zerreisst es die Klitoris – aber zwei Minuten später war meine Tochter da.
Und Enea?
Die Geburt von Enea war einfach gewaltig, er war 4 Kilo und 630 Gramm, ich habe ihn spontan im Wasser geboren, da meine Hebamme und ich uns in seinem Gewicht verschätzt hatten. Es war auch eine gute Geburt, aber sie hat viel Kraft gebraucht.
Die Praxis, bei der du heute angegliedert bist, hast du mitaufgebaut.
Bis Malu auf die Welt kam, habe ich mitgeholfen, eine der mittlerweile drei Filialen zu leiten. Ich wollte gerade wieder einsteigen, doch dann ist sie gestorben – und ich brauchte einen Break.
Es tut mir unendlich leid.
Ja. Gewisse Daten – Geburtstage, Todestage – sind besonders schwierig. Aber Malu gehört zu meinem Leben, ihr Tod gehört zu meinem Leben. Sie hat viel Platz. Und ich gehe offen mit dem Thema um, das ist meine Bewältigungstherapie. Auch bei der Arbeit erzähle ich viel von ihr. Das Stillen war mit ihr beispielsweise ganz anders als mit Enea.
Kommst du als Single-Mama finanziell gut klar?
Bereits als Malu noch gelebt hat, war ich alleinerziehend. Ich hatte mich in der Schwangerschaft von ihrem Vater getrennt. Damals habe ich drei Tage die Woche gearbeitet und gemerkt: Ich komme durch. Das war mit ein Grund, weshalb ich den Mut hatte, mich für eine Solo-Mutterschaft und damit für meinen jüngeren Sohn Enea zu entscheiden. Ich wusste, dass ich das auch alleine schaffe.
Und wie viel Prozent arbeitest du heute?
Ich bin wieder bei drei Tagen die Woche – und das reicht mir. Manchmal muss ich auch am Wochenende arbeiten, wenn eine Frau genau dann nach Hause kommt. Aber seit ich in dieser Wohngemeinschaft wohne, lässt sich das gut organisieren. Ich erkläre meinen Klient:innen zudem, dass ich alleinerziehend bin. Nur einmal musste ich Enea zu einem Hausbesuch mitnehmen.
Solo-Mutterschaft ist eine grosse Organisationssache.
Ja, das habe ich schon immer gesagt: Du musst dich gut organisieren, dann geht alles.
Hast du den Entscheid, alleine Mutter zu werden, von deiner stabilen finanziellen Situation abhängig gemacht?
Ja, und ich finde es auch verantwortungslos, wenn man diesen Aspekt nicht berücksichtigt. Eine Freundin von mir findet hingegen, die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, könne doch nicht an den Finanzen liegen. Und da hat sie einen Punkt – natürlich ist es nicht fair, dass nur gut verdienende Frauen sich dafür entscheiden können. Ich persönlich möchte aber von niemandem abhängig sein. Ich möchte für mein Kind sorgen können, auch mal in die Ferien fahren. Ich brauche nicht viel zum Leben, ich war noch nie das Luxusgirl.
Hast du ein finanzielles Backup?
Ich habe von meiner verstorbenen Mutter ein Haus geerbt, das mein Halbbruder und ich verkauft haben – am Folgetag waren 230’000 Franken auf meinem Konto. Es ist das erste Mal, dass ich Geld auf der Seite habe, und das ist schon beruhigend. Ich weiss jedoch noch nicht, was ich mit dem Geld anfangen werde, dafür muss ich mich beraten lassen.
Nochmals zurück zu deinem Bedürfnis nach finanzieller Stabilität: Dein Beruf gibt dir bestimmt viel Sicherheit?
Ja, denn Babys kommen immer zur Welt. Ich könnte egal wo auf der Welt arbeiten, uns Hebammen braucht es überall. Wir sind systemrelevant, das hat auch die Coronapandemie gezeigt. Ich hatte keine Einbussen. Eher mehr Hausbesuche, weil die Frauen, kaum haben sie ihre Kinder geboren, aus dem Spital entlassen wurden. Mein Nachteil als Selbstständige ist aber, dass ich nur verdiene, was ich effektiv arbeite. Ich habe keine bezahlten Ferien und keinen 13. Monatslohn.
Welchen Umgang mit Geld bringst du Enea bei?
Den Umgang, den ich selber lebe. Wobei: Sparsam bin ich nicht (lacht). Das, was ich habe, gebe ich immer gleich aus. Und wenn ich etwas will, leiste ich es mir.
Welchen Umgang mit Geld hast du selber beigebracht bekommen?
Ich weiss es nicht mehr. Aber ich habe meiner Mutter einmal den Vorwurf gemacht, dass sie uns nicht gelehrt habe, zu sparen. Sie war dann kurz sehr beleidigt, es hat sie wohl stark getroffen. Danach war das nie wieder Thema.
Danke, liebe Oyen, für dieses offene Gespräch!